2011/04/17

Prof.Hillgruber zu rechtlichen Dimension von PID - FAZ 7.April 2011

DAS RECHT GENÜGT SICH NICHT SELBST

Zu dem Artikel "Es gibt keine Gleichheit im Unrecht?' von Prof.Dr. Christian Hillgruber, FAZ 7.April 2011, Nr.82, S.7

Im genannten Artikel beleuchtet Dr.Hillgruber die Frage nach der Würde des Menschen aus rechtlicher Sicht, insbesondere auf der Grundlage der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Ich selbst bin kein Jurist. Ich kann mir aber kaum vorstellen, wie man den Sachverhalt noch klarer, noch zweifelsfreier vorstellen kann, wie es Dr.Hillgruber tut. Ausgehend von dem Begriff der 'Würde' in den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes erörtert er den möglichen Geltungsbereich dieser Würde und spannt einen gewaltigen Raum auf: ausgehend von der Spezies homo sapiens sapiens bricht er den Anwendungsbereich der 'Würde' herunter zu den einzelnen Menschen als Mitgliedern dieser Spezies, bis hin zum ungeborenen Leben, ja bis zu jener Zelle, die gerade durch Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht. Ab dieser Verschmelzung existiert ein 'Programm', das nur noch 'ablaufen' muss. Und ab hier existiert nach Dr.Hillgruber der 'Träger' jener Würde, die das Grundgesetz garantiert. Und in seiner Argumentationskette wird unmissverständlich klar, dass niemand, auch nicht die Eltern oder die Mutter -- selbst wenn beide 'nur' als Ei- und Samenspender im Kontext einer in-vitro-Fertilisation mitwirken -- irgendein Recht haben, ein solches Lebensprogramm in irgendeiner Weise zu behindern (einzige Ausnahme: Bedrohung des Lebens der Mutter); beide übernehmen die volle Verantwortung. Die ganze Argumentation kumuliert in dem Satz: "Kein Mensch ist allein aufgund seiner Existenz, mag sie noch so defizitär sein, für einen anderen Menschen unzumutbar".

In einer Welt wie der unsrigen, in der wir täglich von massenweisen und flächendeckenden Verletzungen der Menschenwürde erfahren (z.B. polizeistaatliche Autokratien, ethnische Säuberungen, Land-Grabbing im großen Stil, religiös motivierte Unterdrückung und Misshandlungen von Frauen, ethisch entwurzelte Manager in global operierenden Unternehmen,...) könnte man solch eine Argumentation -- und das zugehörige Rechtssystem -- wie einen 'Lichtstrahl in dunkler Nacht' erleben. Dennoch sollte man vorsichtig sein, um nicht eventuell etwas 'gut Gemeintes' in sein Gegenteil zu verkehren.

Das 'gut Gemeinte' ist in meinen Augen das Bemühen, die 'Würde' des Menschen als ein ohne Zeifel sehr, sehr hohes Gut unser Gesellschaft möglichst umfassend zu schützen. Und im Rahmen der juristischen Argumentation sehe ich momentan nicht, wie man Dr.Hillgruber hier irgendwo widersprechen könnte. Das ist eine große Stärke seines Beitrags. Einleitend zu seinem Beitrag erwähnt er allerdings kurz, dass das 'Bild' vom Menschen eben nicht nur juristisch existiert, sondern z.B. auch noch 'naturwissenschaftlich' und 'ethisch'. Dies wird von ihm nicht weiter thematisiert. Für das Thema 'Würde des Menschen' scheint es mir allerdings von Relevanz zu sein. Denn schließlich ist nicht das 'Recht' die primäre Quelle von Werten sondern das Recht ist das 'Ergebnis' von Meinungsbildungsprozessen, in denen Menschen aufgrund ihres Wissens, ihres Welterlebens, ihrer Werte zu einem 'Vertrag' kommen, auf den sie sich als gemeinsame Grundlage ihres gesellschaftlichen Miteinanders verpflichten wollen. Will man dem Recht eine Geltung zusprechen, die über die geltende Vereinbarung hinausgeht, dann muß man die Rechtsinhalte in allgemeine (philosophische, ethische, wissenschaftliche,...) Grundsätzen verankern, die ihre Geltung eben nicht aus dem Recht beziehen, sondern eben aus jener 'Kraft der Vernunft', die jedem Rechtsdenken notwendigerweise 'vorgelagert' sein muss.

Sofern eine Gesellschaft wie die Deutsche sich ein Grundgesetz gegeben hat, gilt natürlich dieses Grundgesetz als Maßstab solange, bis die Gesellschaft aufgrund veränderter Einschätzungen daran Änderungen vornimmt. Im Falle der Diskussion um die Würde des Menschen liefert Dr.Hillgruber selbst ein Beispiel dafür, wie ein verändertes Wissen zu veränderten Interpretationen geführt hat. Eine Formulierung wie die, dass in der befruchteten Eizelle dann ein 'Programm' angelegt ist, das dann nur noch 'ablaufen' muss, ist heute, im Lichte der modernen Genforschung möglich (wenngleich natürlich weit differenzierter, als es die kurze Formulierung von Dr. Hillgruber andeuten kann). Zur Zeit der Abfassung des deutschen Grundgesetzes waren diese Erkenntnisse so aber noch nicht gegeben. Nimmt man die bahnbrechende Veröffentlichung von Crick und Watson von 1953 als Referenzpunkt und berücksichtigt man die wissenchaftliche Diskussion in den davor liegenden Jahren, dann scheint es mir schwer begründbar, dass die Autoren des Grundgesetzes bei seiner Abfassung zu dem Punkt 'Würde des Menschen' schon an solche Konkretisierungen denken konnten, wie wir sie heute vornehmen können. Wenn nun Dr. Hillgruber es für 'zulässig' ansieht, bei der Interpretation von Verfassungstexten aus dem Jahr 1949 Wissen zu benutzen, das erst in den Jahren -- wenn nicht Jahrzehnten -- danach verfügbar wurde, dann muß man hier die Frage stellen, an welchem Punkt er diese 'Inanspruchnahme neueren Wissens' begrenzen will? Denn die Beschränkung auf die Formulierung einer im 'Programm angelegten Entwicklung' ist einerseits mehr als das, was die Autoren des Grundgesetzes explizit mitdenken konnten, andererseits ein winziger Bruchteil dessen, was wir in vielen Gebieten der Wissenschaft, der Philosophie und der Ethik über die Spezies Mensch, das weit umfassendere Phänomen des Lebens, wie auch überhaupt über die Gesamtheit unserer Welt und den gesamten Kosmos dazugelernt haben. Ich finde, dieser grundlegenden methodischen Frage muss sich Dr.Hillgruber stellen. Das Recht genügt sich eben nicht selbst, sondern existiert ausschliesslich nur, weil existierende 'Vernunftwesen' der Spezies homo sapiens sapiens zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Vereinbarung getroffen haben, in welche die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Erkenntnisse (und Interessen, Motive, Emotionen, usw.) eingeflossen sind.

Angesichts der 'Klarheit' eines definierten Rechtsgebäudes wirkt solch eine Rückbindung auf die Aktivitäten einer biologischen Spezies möglicherweise verunsichernd, da man ja kaum gewiss sein kann, was diese Spezies noch so alles tun wird (die Bilanz des Schreckens ist bekanntlich gewaltig), aber sie enthält möglicherweise eine Botschaft, die nicht sehr bequem ist: ja, der Mensch hat bewiesen -- und beweist es täglich neu --, dass er Unheil anrichten kann; zugleich gilt aber auch, dass er eine unabweisbare Mitverantwortung für das Ganze des Lebens trägt, und diese Mitverantwortung endet möglicherweise nicht bei der eigenen befruchteten Eizelle, sondern geht weit darüber hinaus. Eine Kritik an einem bestimmten 'Bild von der Würde des Menschen' muss also nicht unbedingt ein 'Verrat' an genau dieser Würde sein, sondern speist sich aus der je größeren Verantwortung, der man sich nicht dadurch entziehen kann, dass man beständig die Gefahren beschwört, die aus einem Missbrauch entspringen können; der Missbrauch ist das, was täglich geschieht. Eine Verringerung des Missbrauchs sollte nicht durch ein stark vereinfachende Reduktion auf eine spezielle molekulare Struktur erkauft werden, deren Gleichsetzung mit einem 'Menschen' als sehr gewagt erscheint.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass der Versuch einer Ausweitung des Diskurses über den bislang diskutierten Gegenstandsbereich hinaus alles andere als 'zustimmungsgefährdet' ist. Aber wenn die Argumentation von Dr. Hillgruber nahezu alle konkreten Lebensumstände mit einem relativ abstrakten Prinzip quasi entmündigt, dann sollte man versuchen, sich die Bedingtheit aller Rechtspositionen vor Augen zu führen. Die hier notwendigen philosophischen Diskurse dürften allerdings nicht gerade einfach sein.

Schöneck, 10.April 2011

No comments:

Post a Comment