2011/04/17

Dr.Oexl, PID und Feedback - FAZ 31.Maerz 2011

INDIVIDUUM UND EVOLUTION

Zu dem Leserbrief "Die Intelligenz ist nicht das Subjekt der Evolution?' von Dr.med. Konrad Oexle, FAZ 31.März 2011, Nr.76, Briefe an die Herausgeber, S.34

In seinem Leserbrief vom 31.März 2011 nimmt Dr.Oexle Bezug auf meinen Leserbrief vom 26.März 2011. Er findet meinen Leserbrief 'bedenklich'. In meinem Leserbrief hatte ich Bezug genommen auf einen Beitrag von Bundesrichter a.D. Ernst-Wolfgang Böckenförde der in einem -- in meinen Augen brillanten -- Beitrag vom 14.März 2011 die Würde des einzelnen auf den gesamten Lebensweg eines menschlichen Individuums überträgt, beginnend mit der allerersten Zelle als Ausgangspunkt des ganzen Organismus. Für Böckenförde kommt die Würde jeder einzelnen Phase im Leben eines menschlichen Organismus zu.

Ungeachtet der Brillanz des Beitrags hatte ich ein Problem mit der Argumentation. In meinem Leserbrief habe ich versucht, darauf hinzuweisen, dass man die Bedeutung des einzelnen überhaupt nicht fassen kann, wenn man nicht zugleich das komplexe Kausalgefüge des gesamten Lebensphänomens auf der Erde in den Blick nimmt. Wir wissen heute einfach zu viel über die Bedingtheiten eines einzelnen individuellen Lebens als dass wir so tun können, als ob wir der Bedeutung und Würde des Lebens auf dieser Erde gerecht werden, wenn wir alles ausklammern und verschweigen, was dieses Lebens überhaupt ausmacht.

Genau in einer solchen Ausweitung des Kontextes sieht Dr.Oexle aber ethische Gefahren lauern, z.B. wenn das Recht des Volkes das Individuum nivelliert. Ferner bestreitet er, dass aus einem solchen erweiterten Kontext ('Natur') eine brauchbare Moral abgeleitet werden könne. Der Evolution als solcher spricht er einen Sinn ('Idealismus') ab, und er meint eine 'Selbstüberhöhung von Intelligenz' zu erkennen.

Seine Bedenken sind nachvollziehbar, da er -- mit seinen Worten -- als 'praktisch tätiger Humangenetiker' täglich konkret vor Entscheidungen im Umgang mit menschlichen Zellen steht. Und es nimmt nicht Wunder dass ihn mehr die Fragen der konkreten Mechanismen von Befruchtung und Verschmelzung einer Zelle und all der anderen konkreten Prozesse beschäftigen als die 'planetarischen' Dimensionen eines Lebens, von dem wir nur ein Teil sind. Für das Hantieren mit Zellen ist ein Denkansatz wie der von Böckenförde, dass Leben mit der befruchteten Zelle beginnt und erst mit dem Tode endet, sehr 'praktisch'.

Doch kann -- und muss -- man fragen, ob diese 'Selbsteinschränkung' des Denkens auf nur einen kleinen Ausschnitt eines großen komplexen Prozesses allein durch Anführung pragmatischer Gründe oder durch Beschwörung diffuser Ängste gerechtfertigt werden kann. Die Bundesärztekammer demonstriert selbst, wohin bloßer Pragmatismus führen kann. In der Ausgabe der FAZ vom 31.März 2011 findet sich der eindrückliche Beitrag von Petra Gehring, der Inhalt und Konsequenzen der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung vom 21.Januar 2011 ausleuchtet. Im Text dieser neuen Grundsätze ist der Arzt nicht mehr nur 'Heilbehandler' und 'Sterbebegleiter', sondern wird in Grenzfällen zum 'Vollstrecker', dem es geboten ist, das Behandlungsziel von 'Erhalten' auf 'Sterben lassen' abzuändern. Indirekt wird er ferner noch zum 'Suizidbegleiter'. Diese Grundsätze lassen deutliche Brüche in der Begründung erkennen und offenbaren darin letztlich eine ethische Hilflosigkeit. Das bisschen 'Menschenbild', was man noch hat, erweist sich angesichts den Herausforderungen der täglichen Praxis als vage und schwach. Für harte Argumentationen ungeeignet.

Wenn man bedenkt, dass die Grundzüge des Menschenbildess, das auch in die bundesdeutsche Verfassung eingegangen ist, aus philosophischen, christlichen und politische-sozialen Traditionen stammen, die von den heutigen Erkenntnissen über Lebens- und Weltprozesse noch nichts wussten, dann wundert es nicht, dass die Vielfalt der neuen Herausforderungen vorwiegend als Bedrohungen und Verunsicherungen empfunden werden können: Wer sind wir als Menschen, wenn wir nicht die sind, für die wir uns jahrhunderte-(oder gar jahrtausende-)lang gehalten haben? Wenn wir heute die Geschichten von Galilei und Co. lesen, wie die Kardinäle die Sterne zwar im Fernrohr sahen, aber mit Blick auf die Gefährdung des damaligen Glaubens als nicht diskutierbar klassifizierten, dann wundern sich die meisten, warum diese --für uns heute -- so 'klaren' Sachverhalte damals nicht akzeptiert wurden. Sind wir wirklich 'klüger'?

Wenn Dr.Oexle z.B. eine Ausweitung des Diskurshorizontes mit Bezug auf Volk-und-Boden Befürchtungen abwehrt (was ich ja selbst sogar als mögliche Gefahr benannt hatte), die 'Natur' als Quelle von Moral eliminiert und dann noch die Evolutionstheorie bemüht als Zeugen gegen einen möglichen 'Sinn im Ganzen', dann kann ich diese Argumente -- genau wie bei Böckenförde -- letztlich nur als Versuch einer 'Immunisierung' verstehen. Die bekannten handlichen Begriffe von Mensch, Menschenwürde, Natur, konkreter ärztlicher Praxis werden einfach verteidigt, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass alle benutzten Begriffe schon lange nicht mehr nur das bedeuten, für das man sie gerne nimmt. Allein der Naturbegriff hat in den letzten 2500 Jahren derartige Bedeutungswandel erlebt (ähnlich auch der Begriff der Moral), dass eine Aussage wie 'die Natur lehrt uns keine Moral' mindestens bedeutungslos ist, je nach Interpretationskontext sogar einfach falsch.

In einer pessimistischen Sicht der Erkenntnisgeschichte in Europa seit der griechischen Philosophie könnte man verleitet sein zu sagen, dass eine schrittweise 'Entzauberung' des Menschen stattgefunden hat. Nach den Umbrüchen des physikalischen, und biologischen Weltbildes haben die moderne Genetik und die Gehirnforschung das 'Wunder des Menschen' in einen molekularen Mechanismus zerlegt, der nur mehr wenig Stoff für 'Träume' zu bieten scheint und demgegenüber versuchen sich die restlichen 'Romantiker' des Menschen hinter dem Bollwerk der 'Menschenwürde' zu verschanzen. Diese Strategie ist vermutlich wenig erfolgversprechend, wenn nicht gar kontraproduktiv. Tatsache ist, dass jede 'Zerlegung' immer auch neue 'Synthesen' ermöglicht, neue spannende Sichten auf ein Ganzes, dass vor dieser Zerlegung nicht sichtbar war. Dies würde aber voraussetzen, dass man angstbewehrte Vorurteile überwindet und sich interessiert diesen neuen Erkenntnisdimensionen zuwendet.

Mein Eindruck ist, dass wir bislang eher den Kardinälen ähneln, die Galilei das Fernrohr verbieten wollen, weil es die gewohnte Unordnung gefährdet....

Schöneck, 2.April 2011

No comments:

Post a Comment