2011/12/18

Cartesianische Meditationen III, Teil 1-5

Im Zusammenhang meiner Untersuchungen zum Neuen Weltbild bin ich bei der Konstruktion eines künstlichen lernenden Agenten mit Bewusstsein mit der mathematichen Lerntheorie soweit vorangeschritten, dass an dieser Stelle nochmals eine genauere Analyse der philosophischen Positionen zum Bewusstsein nötig wurde. Aus der grossen Anzahl von Artikeln und Büchern zum Thema erweisen sich letztlich die 'klassischen' philosophischen Texte immer noch als am ergiebigsten. Innerhalb dieser Autoren wiederum habe ich Descartes, Kant, Schelling/ Hegel, Husserl als primäre Referenzen ausgewählt. Um diese Autoren 'herum' gibt es natürlich viele weitere Autoren, die ich aber zunächst nur als 'Kontextwissen' berücksichtige. Für die Relektüre von Husserls Cartesianischen Meditationen --bei mir CM 2 genannt--, der wiederum bei Descarte's Meditationes de Prima Philosophia ansetzt --bei mir CM1 genannt-- liegen aktuell 5 Teile vor. Der erste Teil findet sich hier. Am Schluss von jedem Teil gibt es einen Link auf die Fortsetzung.

Wir leben in einer Zeit, in der die noch immer anhaltende Trennung zwischen klassischer Philosophie und moderner Wissenschaft möglicherweise ihr Ende findet. Nicht als unterschiedslose 'Vereinigung' von beidem sondern durch eine reflektierte Integration beider Sehweisen in ein erweitertes Wissenschaftskonzept, wo jede Sehweise auf ihre Weise existiert, zugleich aber ein Rahmen verfügbar ist, durch den die Ergebnisse wechselseitig genutzt werden können. Die fruchtlosen Reduktionsdiskussionen, die bis heute nicht versiegt sind, sollten dann endgültig der Vergangenheit angehören.

2011/11/20

Emergenz des Geistes, Freiheit zu sterben, und mehr.

In meinem Philosophie-Blog cognitiveagent.org habe ich wieder ein paar Posts gesetzt.



In einer öffentlichen Veranstaltung am 2.Okt.2011 hatte ich versucht, aufzuzeigen, dass der klassische Dualismus im Lichte des heutigen Wissens vollständig obsolet ist. Eine Konsequenz davon ist, dass wir die Geschichte des Universums, insbesondere den Abschnitt der Evolution, damit als eine 'Emergenz des Geistes' beschreiben könnten (und müssen?). Eine Vorbereitende Überlegung dazu war die Betrachtung der wachsenden Komplexitätsstufen am Beispiel von Genen, Memem, Semen. Daraus folgt dann ziemlich direkt die Rede von der Emergenz des Geistes
Eine Kehrseite davon ist die Zunahme der Verantwortung für die Menschen. Nebenbei zeigt sich, dass die Freiheit zu Sterben als ein Kriterium für die 'Autonomie' eines biologischen Systems dienen könnte. Eine Analyse von Husserl (sowie Descartes, Kant, u.a.) im Lichte der modernen maschinellen Lerntheorien zeigt, dass es möglich erscheint, eine methodische VEREINIGUNG VON PHILOSOPHIE UND WISSENSCHAFT herbei zu führen. Wegen der anwachsenden Zahl an Beiträgen und der daraus resultierenden wachsenden Unübersichtlichkeit habe ich ein zusätzliches Wiki für den Philosophie-Blog eingerichtet. Schliesslich habe ich am Beispiel der Normengebung (zur Sexualität) nochmals darüber nachgedacht, dass wir eigentlich zu keinen absoluten Normen fähig sind (was keine vollständige Relativierung bedeutet, sondern eher das Gegenteil!).

2011/10/17

Emergenz des Geistes?

In Fortsetzung meiner öffentlichen Veranstaltung 'Philosophie Jetzt' (vom 2.Okt.2011), in der ich erstmalig einen Gesamtzusammenhang vom Urknall über die verschiedenen Evolutionsebenen bis hin zur Gegenwart skizzieren konnte, und in Weiterführung der Überlegungen zu den Organisationsebenen 'Gen - Mem - Sem', lässt sich die Gesamtzeit seit dem Urknall als eine immer weitergehende 'Schichtung' von Komplexitätsebenen betrachten, die jede ihre eigene evolutionäre Logik besitzt. Dabei deutet sich an -- bei aller Grobheit einer ersten Analyse --, dass sich der Prozess der Evolution beständig beschleunigt. D.h. nicht nur die Fluchtgeschwindigkeit des gesamten Universums nimmt weiterhin zu (die letzten Nobelpreise in Physik haben dies belegt), sondern die Evolution des Geistes im Universum wird auch immer schneller. Dies klingt beunruhigend. Wenn man aber bedenkt, dass die gesamte Evolution einschließlich des Ausfaltungsprozesses von Energie in Materie in Gestalt des uns bekannten Universums ohne unser Zutun abläuft, dann ist damit zwar nicht ausgeschlossen, dass wir Menschen durch unsere zunehmenden Handlungsmöglichkeiten diesen Prozess in einem Teilbereich (Erde) empfindlich stören, aber die gesamte Wucht des Phänomens erscheint so unvorstellbar groß, dass man versucht ist, sich ruhig zurück zu lehnen und zu sagen: das wird schon irgendwie. Allerdings verstärken sich die Indizien, dass durch die zunehmende Komplexität nicht nur die Handlungsmöglichkeiten des homo sapiens zunehmen, sondern auch die 'Verantwortung': es ging noch nie nur um einzelne sondern immer schon um die Population, die als einzige überleben konnte. Aber jetzt geht es nicht nur um eine Population unter vielen Millionen (oder gar Milliarden) anderen, jetzt geht es um das gesamte Leben. Niemand der jeweils lebenden Menschen hat sich dies ausgesucht, aber niemand kann sich auch der Situation entziehen. 'Mensch sein' heißt, in diesem unwirklich-wirklichen gigantischen Prozess teilzunehmen, sich darin vorzufinden und kraft der Fakten herausgefordert zu sein, zu antworten auf das, was man geworden ist -- und damit ist --, ohne es selbst gewollt zu haben.

Gen - Mem - Sem

Im Kontext des Gesamtüberblicks über die Entwicklung des Universums und darin der Entwicklung des Lebens habe ich speziell die unterschiedlichen Organisationsebenen basierend auf der Genetischen Evolution (Gene), der Memetischen Evolution (Meme) sowie der Semetischen Evolution (Seme, Zeichen, Sprache) etwas näher beschrieben (Siehe hier). Eine ausführlicher wissenschaftliche Darstellung findet sich entweder in meinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder in meinem Skript begleitend zur Vorlesung 'Dynamisches Wissen 1+2'.

2011/09/26

Philosophie Jetzt: Auftakt am 2.Okt.2011

Hier eine Ankündigung in eigener Sache:

Am 2.Okt.2011 beginne ich mit einer ersten Veranstaltung im Rahmen des Projektes 'Philosophie Jetzt' mit dem aktuellen Titel 'Unterwegs Wohin?'

Grundidee ist, die Diskussion aus dem Blog auch in der Öffentlichkeit zu führen und damit das Umdenken vieler gewohnter Alltagsbegriffe weiter zu unterstützen. Die Veranstaltung findet im

Bistro des Restautant 'Schnittlik' statt

61137 Schöneck

Platz der Republik 2

16:00 - 19:00h

Gedacht ist an einer lockeren Form von Vortrag, Gespräch, aufgelockert mit eigener experimenteller Musik. Denkbar, dass in Zukunft auch andere aktiv mitwirken durch Texte und Musik. Dies ist jedenfalls ein Anfang. Philosophie ist für uns alle wichtig, nicht nur für 'Hinterstubendenker'......

Herzliche Grüße,

gerd d-h

PS: Trotz grosser Widrigkeiten wurde diese Veranstaltungen zu einem großen Erfolg. Eine erste Zusammenfassung findet sich hier.

2011/09/24

Womit hat der Bundestag dies verdient?

Anlässlich der Rede des Papstes im Deutschen Bundestag am 22.Sept.2011 habe ich diese Rede im Nachhinein gelesen. Ich war ziemlich erschüttert, als ich den Text gelesen habe. Meine Gedanken dazu habe ich in meinem Blog Papstrede 22.Sept.2011 niedergelegt.

2011/08/29

Metamorphose der Demokratie als Herausforderung und Chance

In meinem Philosophie-Blog habe ich kurz Bezug genommen auf einen Beitrag in der FAZ vom 29.Aug.2011 auf S.7. Dort beschreibt Prof.Dr.Hans H.Klein, Emeritus für Öffentliches Recht der Universität Göttingen (und u.a. vormals Richter am Bundesverfassungsgericht) das Problem der Realisierung von Demokratie innerhalb der europäischen Strukturen. Insbesondere hebt er ab auf das Problem der nicht hinreichenden Legitimierung von politischen Akten auf den jeweils höheren institutionellen Ebenen, vor allem im Übergang von den nationalen zu den übernationalen europäischen Institutionen. Er vermeint auf den höheren ebenen eine Tendenz zu einer zunehmenden Ausdünnung von Legitimierungen zu erkennen bis hin zu nicht legitimierten Handlungen. Hier sieht er auch eine der Ursachen für eine zunehmende Entfremdung der Bürger von Europa bzw. der europäischen Politik. Mehr dort.

2011/08/23

Entmystifizierung des Ethikrates

Anlässlich eines Beitrages von Horst Dreier, Prof. für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht in Würzburg, in der FAZ vom 17.August 2011 greife ich die von ihm vorgelegte 'Relativierung' des Ethikrates und -- viel weiterführender -- der Relativität jeglicher ethischer Stellungnahme auf und ziehe die Linien noch etwas kräftiger aus als Horst Dreier dies in seinem Beitrag getan hat. Ich empfinde seinen Beitrag als sehr klärend und damit wohltuend (siehe: Weiterführung Dreier )

2011/07/20

Wahrheit im Alltag


Ich habe in meinem Philosophie-Blog ein paar Gedanken niedergeschrieben zu einigen Faktoren, die das Bestimmen von Wahrheit im Alltag stark beeinflussen können. Neben einer kurzen Charakterisierung, was 'Wahrheit' ist (für weitere Gedanken dazu finden sich weitere Einträge im besagten Philosophie-Blog), bin ich kurz eingegangen auf die Faktoren 'Medien', 'Banken' sowie die 'Hochschulforschung' .

2011/06/19

Sexualität gestern, morgen, und...

In meinem Philosophie-Blog auf http://cognitiveagent.org/ habe ich eine kurze Reflexion zur Sexualität gestern und morgen eingestellt. Interessant ist die Kombination der Betrachtungsebenen: Geschichte des Lebens (Evolution) , Ontogenese, Physiologie, Bewusstseinsperspektive und kurz sozial-kulturelles Umfeld.

2011/06/18

(1) fitnessfunktion, (2) Warum gerade ich?, (3) Glauben ohne Wissen?

Ich habe nach einiger Zeit mal wieder drei Einträge in meinen Blog www.cognitiveagent.org  gepostet.

Im ersten Beitrag (1)  geht es nochmals um die die sogenannte Fitnessfunktion, mittels der ein lernendes System seine Richtung findet. Mit einfachen Worten könnte man dies so zusammenfassen: Lernen kann ich letztlich nur, was ich in gewisser Weise schon weiss, wenn auch möglicherweise nur implizit wie z.B. in Form einer 'Richtung' in die ich gehen muss, um die Lösung zu finden.

Im zweiten Beitrag (2) nehme ich die Frage von Menschen zum Ausgangspunkt, die sich fragen 'Warum gerade ich?'. Manchmal findet man die Antwort nicht, weil man die Frage falsch stellt.

Auch der dritte Beitrag (3) wurde durch die Aussage einer Gesprächspartnerin hervorgerufen. Für sie ist ihr Glaube so viel genug, dass Sie meint, sich nicht um die Erkenntnisse der Wissenschaft kümmern zu müssen.

2011/04/26

ÖKOLOGISCHE KERNENERGIE

EINE AUFGEHEIZTE DEBATTE

In Deutschland war die Debatte um Atomkraft, um friedliche Nutzung von Kernenergie, schon seit Jahrzehnten immer mehr als nur eine sachliche Diskussion. Und mit Fukushima ist diese Debatte in einem Masse eskaliert, die in der öffentlichen Meinung, in den Medien, ja in der Politik, schon nach wenigen Tagen und Wochen tiefe Spuren hinterlässt. Dass Parteien wie die CDU und FDP, die noch vor kurzem den Atomausstieg verlängert haben, nun mit einem Mal in der Öffentlichkeit um den Eindruck bemüht sind, sie wollen jetzt doch aussteigen, so schnell wie möglich, ist als Ausdruck von Kehrtwende kaum noch zu überbieten. Es ist, als ob über Nacht ein ganzes Land nur noch eines will: weg von einer bestimmten Form von Atomtechnologie. Mahnende Stimmen scheinen ungehört zu verklingen. Doch geht es bei der Frage des Umgangs mit Kerntechnologie nicht einfach bloß um ein Nein zu einer konkreten Form von Atomtechnik mit gefährlichem Restrisiko und ungelöster Entsorgung, nicht einmal nur um die damit eventuell steigenden Energiekosten oder befürchteten partiellen Energieengpässen. Nein, es geht vielmehr um die sehr grundsätzliche Frage, wieweit wir überhaupt ethisch ein Recht haben, in einer zentralen Frage des Überlebens der Menschheit ein generelles Denkverbot zu erteilen, dessen mögliche verheerenden Folgen nicht wir ausbaden, sondern die zukünftigen Generationen, die darauf vertrauen, dass wir alles richtig machen.

UMWERTUNG DER WERTE

Bislang werden die zukünftigen Generationen in der Diskussion immer bemüht als Argument für eine schnelle Abschaltung riskanter Kraftwerke, da diese zukünftige Generationen, sollte der Ernstfall eintreten, über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende unter den Folgen leiden müssten, einschließlich der ungelösten Entsorgungsproblematik. Diesem Nein soll hier auch nicht widersprochen werden: für das biologische Leben nachweislich hochriskante Technologien gehören grundsätzlich geächtet, dürfen nicht geduldet werden. Der Denkfehler liegt aber darin, von einer bestimmten konkreten Ausformung einer Technologie, die objektive Mängel aufweist, darauf zu schließen, dass der Ansatz einer Nutzung von Kernenergie grundsätzlich unmöglich und unerwünscht sei und man nicht nur eine entsprechende Forschung zu diesem Thema einstellen möchte, sondern alles zu tun scheint, dieses Thema geradezu zu ächten; schon wer darüber spricht wird verdächtig. Hier berühren wir eine zutiefst ethische Fragestellung, die keinesfalls tagespolitischen Kalkülen und taktischen Spielchen geopfert werden darf.


GRÜNER ALS GRÜN?

Ein anerkannter Wortführer in der Kritik an der bisherigen Atomtechnik ist das Bündnis90/Die Grünen. Nicht erst im Berliner Programm von 2002 versteht sich das Bündnis90/Die Grünen von Grund auf als 'ökologische' Partei, die das Prinzip der Kongruenz mit den natürlichen Grundlagen konsequent für alle Bereiche zu denken und handlungsmäßig umzusetzen versucht. Auffällig ist allerdings, dass die Frage der Kerntechnologie nicht -- wie viele der anderen Themen -- im Rahmen einer ökologischen Analyse grundsätzlich und nachhaltig behandelt wird, sondern sondern nur mit einer ad hoc Bezugnahme auf die konkrete zeitliche Ausprägung von einer Atomtechnologie, wie sie in den Jahren vor 2002 bekannt war. Diese Argumentationsweise steht in einiger Spannung zu dem grundlegenden Faktum, dass die Natur -- soweit wir heute wissen -- primär Energie ist, in unterschiedlichsten Zustandsformen, letztlich in permanenter Umformung von Energie begriffen ist.

Insbesondere gilt: Das Leben auf dieser Erde mit speziell uns Menschen als homo sapiens sapiens gibt es nur, weil das Leben seit mehr als 3 Milliarden Jahren jedes (!) erdenkliche Experiment unternommen hat, um Leben in möglichst allen Winkeln dieses Planeten zu ermöglichen. Angesichts der allgegenwärtigen Ungewissheit jedes Lebenszeitpunktes, nicht zu wissen, was noch alles an Herausforderungen kommen wird, ist dies die einzig mögliche Strategie. Und die z.T. dramatischen Verlusten an biologischen Arten (Schätzungen sprechen für bestimmte Phasen des Lebens auf der Erde von 60 - 90%) aufgrund von Vorgängen auf der Erde konnte dann deswegen (bisher) verkraftet werden, weil das Leben sich aufgrund seiner offensiven Strategie zu allen Zeitpunkten immer 'in alle kombinatorisch mögliche' Richtungen ausgebreitet hatte. Dies ist das oberste Prinzip des ganzen Lebens. Wie können wir als ferne Abkömmlinge und Nutznießer dieses 'Überflußprinzips' es dann wagen, diesem fundamentalen Prinzip dadurch zu widersprechen, dass wir Denkverbot erteilen, was gedacht und geforscht werden darf und was nicht? Woher haben einzelne unserer Politiker plötzlich die 'höhere Weisheit', die es ihnen ermöglicht, soweit in die Zukunft zu schauen, dass wir darauf verzichten können, das fundamentale Prinzip von Energie überhaupt nicht erforschen zu müssen? Alles verfügbare Wissen und das fundamentale Prinzip des Lebens spricht gegen solch ein Denkverbot.

Grün im vollen Sinne -- und d.h. ökologisch im vollen Sinne -- würde bedeuten, dass man die ökologische Verfehlung der missglückten Atomenergie dahingehend korrigiert, dass man sich dem 'vollen Potential der Kerntechnik' zuwendet, jenem, das das Herz, die 'Seele' der gesamten Natur (!) bildet, und man das gesamte heute -- und zukünftig!-- verfügbares Wissen einbezieht, um dieses Potential als 'ökologische Kerntechnologie' nutzen zu lernen. 'Ökologische Kerntechnologie' meint eine Kerntechnologie ohne jegliches Restrisiko und ohne Entsorgungsprobleme und nicht als Gegensatz zu anderen Energieformen! Möglicherweise brauchen wir mehrere Jahrzehnte, vielleicht ein paar hundert Jahre, bis wir diese Technologie unter Kontrolle haben werden, aber was sind ein paar Jahrzehnte bzw. ein paar Jahrhunderte angesichts der mehr als 3 Milliarden Jahre, die das Leben auf dieser Erde gebraucht hat, bis es den homo sapiens sapiens so geben konnte, wie wir ihn heute erleben? Und was sind ein paar Jahrzehnte wenn wir wissen, dass die Sonne die Erde in ca. 1 Milliarde Jahre in einen ganz und gar lebensfeindlichen Ort verwandeln wird? Es geht eben nicht nur darum, in den Jahren 2011ff mit einer Mehrheit wieder gewählt zu werden, es geht auch darum für den Fortbestand des Lebens aller kommenden Generationen das 'Richtige' zu tun.

PS1: Auf die vielen hier notwendigen technischen Details der unterschiedlichen Energieformen und -technologien hier einzugehen, ist nicht möglich und würde an der grundsätzlichen Argumentation auch nichts ändern.
PS2: Der Verfasser ist selbst Mitglied von Bündnis90/DieGrünen und ein durch und durch 'überzeugter' 'Grüner' im Sinne eines umfassenden ökologischen Ansatzes.

2011/04/17

Prof.Hillgruber zu rechtlichen Dimension von PID - FAZ 7.April 2011

DAS RECHT GENÜGT SICH NICHT SELBST

Zu dem Artikel "Es gibt keine Gleichheit im Unrecht?' von Prof.Dr. Christian Hillgruber, FAZ 7.April 2011, Nr.82, S.7

Im genannten Artikel beleuchtet Dr.Hillgruber die Frage nach der Würde des Menschen aus rechtlicher Sicht, insbesondere auf der Grundlage der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Ich selbst bin kein Jurist. Ich kann mir aber kaum vorstellen, wie man den Sachverhalt noch klarer, noch zweifelsfreier vorstellen kann, wie es Dr.Hillgruber tut. Ausgehend von dem Begriff der 'Würde' in den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes erörtert er den möglichen Geltungsbereich dieser Würde und spannt einen gewaltigen Raum auf: ausgehend von der Spezies homo sapiens sapiens bricht er den Anwendungsbereich der 'Würde' herunter zu den einzelnen Menschen als Mitgliedern dieser Spezies, bis hin zum ungeborenen Leben, ja bis zu jener Zelle, die gerade durch Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht. Ab dieser Verschmelzung existiert ein 'Programm', das nur noch 'ablaufen' muss. Und ab hier existiert nach Dr.Hillgruber der 'Träger' jener Würde, die das Grundgesetz garantiert. Und in seiner Argumentationskette wird unmissverständlich klar, dass niemand, auch nicht die Eltern oder die Mutter -- selbst wenn beide 'nur' als Ei- und Samenspender im Kontext einer in-vitro-Fertilisation mitwirken -- irgendein Recht haben, ein solches Lebensprogramm in irgendeiner Weise zu behindern (einzige Ausnahme: Bedrohung des Lebens der Mutter); beide übernehmen die volle Verantwortung. Die ganze Argumentation kumuliert in dem Satz: "Kein Mensch ist allein aufgund seiner Existenz, mag sie noch so defizitär sein, für einen anderen Menschen unzumutbar".

In einer Welt wie der unsrigen, in der wir täglich von massenweisen und flächendeckenden Verletzungen der Menschenwürde erfahren (z.B. polizeistaatliche Autokratien, ethnische Säuberungen, Land-Grabbing im großen Stil, religiös motivierte Unterdrückung und Misshandlungen von Frauen, ethisch entwurzelte Manager in global operierenden Unternehmen,...) könnte man solch eine Argumentation -- und das zugehörige Rechtssystem -- wie einen 'Lichtstrahl in dunkler Nacht' erleben. Dennoch sollte man vorsichtig sein, um nicht eventuell etwas 'gut Gemeintes' in sein Gegenteil zu verkehren.

Das 'gut Gemeinte' ist in meinen Augen das Bemühen, die 'Würde' des Menschen als ein ohne Zeifel sehr, sehr hohes Gut unser Gesellschaft möglichst umfassend zu schützen. Und im Rahmen der juristischen Argumentation sehe ich momentan nicht, wie man Dr.Hillgruber hier irgendwo widersprechen könnte. Das ist eine große Stärke seines Beitrags. Einleitend zu seinem Beitrag erwähnt er allerdings kurz, dass das 'Bild' vom Menschen eben nicht nur juristisch existiert, sondern z.B. auch noch 'naturwissenschaftlich' und 'ethisch'. Dies wird von ihm nicht weiter thematisiert. Für das Thema 'Würde des Menschen' scheint es mir allerdings von Relevanz zu sein. Denn schließlich ist nicht das 'Recht' die primäre Quelle von Werten sondern das Recht ist das 'Ergebnis' von Meinungsbildungsprozessen, in denen Menschen aufgrund ihres Wissens, ihres Welterlebens, ihrer Werte zu einem 'Vertrag' kommen, auf den sie sich als gemeinsame Grundlage ihres gesellschaftlichen Miteinanders verpflichten wollen. Will man dem Recht eine Geltung zusprechen, die über die geltende Vereinbarung hinausgeht, dann muß man die Rechtsinhalte in allgemeine (philosophische, ethische, wissenschaftliche,...) Grundsätzen verankern, die ihre Geltung eben nicht aus dem Recht beziehen, sondern eben aus jener 'Kraft der Vernunft', die jedem Rechtsdenken notwendigerweise 'vorgelagert' sein muss.

Sofern eine Gesellschaft wie die Deutsche sich ein Grundgesetz gegeben hat, gilt natürlich dieses Grundgesetz als Maßstab solange, bis die Gesellschaft aufgrund veränderter Einschätzungen daran Änderungen vornimmt. Im Falle der Diskussion um die Würde des Menschen liefert Dr.Hillgruber selbst ein Beispiel dafür, wie ein verändertes Wissen zu veränderten Interpretationen geführt hat. Eine Formulierung wie die, dass in der befruchteten Eizelle dann ein 'Programm' angelegt ist, das dann nur noch 'ablaufen' muss, ist heute, im Lichte der modernen Genforschung möglich (wenngleich natürlich weit differenzierter, als es die kurze Formulierung von Dr. Hillgruber andeuten kann). Zur Zeit der Abfassung des deutschen Grundgesetzes waren diese Erkenntnisse so aber noch nicht gegeben. Nimmt man die bahnbrechende Veröffentlichung von Crick und Watson von 1953 als Referenzpunkt und berücksichtigt man die wissenchaftliche Diskussion in den davor liegenden Jahren, dann scheint es mir schwer begründbar, dass die Autoren des Grundgesetzes bei seiner Abfassung zu dem Punkt 'Würde des Menschen' schon an solche Konkretisierungen denken konnten, wie wir sie heute vornehmen können. Wenn nun Dr. Hillgruber es für 'zulässig' ansieht, bei der Interpretation von Verfassungstexten aus dem Jahr 1949 Wissen zu benutzen, das erst in den Jahren -- wenn nicht Jahrzehnten -- danach verfügbar wurde, dann muß man hier die Frage stellen, an welchem Punkt er diese 'Inanspruchnahme neueren Wissens' begrenzen will? Denn die Beschränkung auf die Formulierung einer im 'Programm angelegten Entwicklung' ist einerseits mehr als das, was die Autoren des Grundgesetzes explizit mitdenken konnten, andererseits ein winziger Bruchteil dessen, was wir in vielen Gebieten der Wissenschaft, der Philosophie und der Ethik über die Spezies Mensch, das weit umfassendere Phänomen des Lebens, wie auch überhaupt über die Gesamtheit unserer Welt und den gesamten Kosmos dazugelernt haben. Ich finde, dieser grundlegenden methodischen Frage muss sich Dr.Hillgruber stellen. Das Recht genügt sich eben nicht selbst, sondern existiert ausschliesslich nur, weil existierende 'Vernunftwesen' der Spezies homo sapiens sapiens zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Vereinbarung getroffen haben, in welche die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Erkenntnisse (und Interessen, Motive, Emotionen, usw.) eingeflossen sind.

Angesichts der 'Klarheit' eines definierten Rechtsgebäudes wirkt solch eine Rückbindung auf die Aktivitäten einer biologischen Spezies möglicherweise verunsichernd, da man ja kaum gewiss sein kann, was diese Spezies noch so alles tun wird (die Bilanz des Schreckens ist bekanntlich gewaltig), aber sie enthält möglicherweise eine Botschaft, die nicht sehr bequem ist: ja, der Mensch hat bewiesen -- und beweist es täglich neu --, dass er Unheil anrichten kann; zugleich gilt aber auch, dass er eine unabweisbare Mitverantwortung für das Ganze des Lebens trägt, und diese Mitverantwortung endet möglicherweise nicht bei der eigenen befruchteten Eizelle, sondern geht weit darüber hinaus. Eine Kritik an einem bestimmten 'Bild von der Würde des Menschen' muss also nicht unbedingt ein 'Verrat' an genau dieser Würde sein, sondern speist sich aus der je größeren Verantwortung, der man sich nicht dadurch entziehen kann, dass man beständig die Gefahren beschwört, die aus einem Missbrauch entspringen können; der Missbrauch ist das, was täglich geschieht. Eine Verringerung des Missbrauchs sollte nicht durch ein stark vereinfachende Reduktion auf eine spezielle molekulare Struktur erkauft werden, deren Gleichsetzung mit einem 'Menschen' als sehr gewagt erscheint.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass der Versuch einer Ausweitung des Diskurses über den bislang diskutierten Gegenstandsbereich hinaus alles andere als 'zustimmungsgefährdet' ist. Aber wenn die Argumentation von Dr. Hillgruber nahezu alle konkreten Lebensumstände mit einem relativ abstrakten Prinzip quasi entmündigt, dann sollte man versuchen, sich die Bedingtheit aller Rechtspositionen vor Augen zu führen. Die hier notwendigen philosophischen Diskurse dürften allerdings nicht gerade einfach sein.

Schöneck, 10.April 2011

Dr.Oexl, PID und Feedback - FAZ 31.Maerz 2011

INDIVIDUUM UND EVOLUTION

Zu dem Leserbrief "Die Intelligenz ist nicht das Subjekt der Evolution?' von Dr.med. Konrad Oexle, FAZ 31.März 2011, Nr.76, Briefe an die Herausgeber, S.34

In seinem Leserbrief vom 31.März 2011 nimmt Dr.Oexle Bezug auf meinen Leserbrief vom 26.März 2011. Er findet meinen Leserbrief 'bedenklich'. In meinem Leserbrief hatte ich Bezug genommen auf einen Beitrag von Bundesrichter a.D. Ernst-Wolfgang Böckenförde der in einem -- in meinen Augen brillanten -- Beitrag vom 14.März 2011 die Würde des einzelnen auf den gesamten Lebensweg eines menschlichen Individuums überträgt, beginnend mit der allerersten Zelle als Ausgangspunkt des ganzen Organismus. Für Böckenförde kommt die Würde jeder einzelnen Phase im Leben eines menschlichen Organismus zu.

Ungeachtet der Brillanz des Beitrags hatte ich ein Problem mit der Argumentation. In meinem Leserbrief habe ich versucht, darauf hinzuweisen, dass man die Bedeutung des einzelnen überhaupt nicht fassen kann, wenn man nicht zugleich das komplexe Kausalgefüge des gesamten Lebensphänomens auf der Erde in den Blick nimmt. Wir wissen heute einfach zu viel über die Bedingtheiten eines einzelnen individuellen Lebens als dass wir so tun können, als ob wir der Bedeutung und Würde des Lebens auf dieser Erde gerecht werden, wenn wir alles ausklammern und verschweigen, was dieses Lebens überhaupt ausmacht.

Genau in einer solchen Ausweitung des Kontextes sieht Dr.Oexle aber ethische Gefahren lauern, z.B. wenn das Recht des Volkes das Individuum nivelliert. Ferner bestreitet er, dass aus einem solchen erweiterten Kontext ('Natur') eine brauchbare Moral abgeleitet werden könne. Der Evolution als solcher spricht er einen Sinn ('Idealismus') ab, und er meint eine 'Selbstüberhöhung von Intelligenz' zu erkennen.

Seine Bedenken sind nachvollziehbar, da er -- mit seinen Worten -- als 'praktisch tätiger Humangenetiker' täglich konkret vor Entscheidungen im Umgang mit menschlichen Zellen steht. Und es nimmt nicht Wunder dass ihn mehr die Fragen der konkreten Mechanismen von Befruchtung und Verschmelzung einer Zelle und all der anderen konkreten Prozesse beschäftigen als die 'planetarischen' Dimensionen eines Lebens, von dem wir nur ein Teil sind. Für das Hantieren mit Zellen ist ein Denkansatz wie der von Böckenförde, dass Leben mit der befruchteten Zelle beginnt und erst mit dem Tode endet, sehr 'praktisch'.

Doch kann -- und muss -- man fragen, ob diese 'Selbsteinschränkung' des Denkens auf nur einen kleinen Ausschnitt eines großen komplexen Prozesses allein durch Anführung pragmatischer Gründe oder durch Beschwörung diffuser Ängste gerechtfertigt werden kann. Die Bundesärztekammer demonstriert selbst, wohin bloßer Pragmatismus führen kann. In der Ausgabe der FAZ vom 31.März 2011 findet sich der eindrückliche Beitrag von Petra Gehring, der Inhalt und Konsequenzen der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung vom 21.Januar 2011 ausleuchtet. Im Text dieser neuen Grundsätze ist der Arzt nicht mehr nur 'Heilbehandler' und 'Sterbebegleiter', sondern wird in Grenzfällen zum 'Vollstrecker', dem es geboten ist, das Behandlungsziel von 'Erhalten' auf 'Sterben lassen' abzuändern. Indirekt wird er ferner noch zum 'Suizidbegleiter'. Diese Grundsätze lassen deutliche Brüche in der Begründung erkennen und offenbaren darin letztlich eine ethische Hilflosigkeit. Das bisschen 'Menschenbild', was man noch hat, erweist sich angesichts den Herausforderungen der täglichen Praxis als vage und schwach. Für harte Argumentationen ungeeignet.

Wenn man bedenkt, dass die Grundzüge des Menschenbildess, das auch in die bundesdeutsche Verfassung eingegangen ist, aus philosophischen, christlichen und politische-sozialen Traditionen stammen, die von den heutigen Erkenntnissen über Lebens- und Weltprozesse noch nichts wussten, dann wundert es nicht, dass die Vielfalt der neuen Herausforderungen vorwiegend als Bedrohungen und Verunsicherungen empfunden werden können: Wer sind wir als Menschen, wenn wir nicht die sind, für die wir uns jahrhunderte-(oder gar jahrtausende-)lang gehalten haben? Wenn wir heute die Geschichten von Galilei und Co. lesen, wie die Kardinäle die Sterne zwar im Fernrohr sahen, aber mit Blick auf die Gefährdung des damaligen Glaubens als nicht diskutierbar klassifizierten, dann wundern sich die meisten, warum diese --für uns heute -- so 'klaren' Sachverhalte damals nicht akzeptiert wurden. Sind wir wirklich 'klüger'?

Wenn Dr.Oexle z.B. eine Ausweitung des Diskurshorizontes mit Bezug auf Volk-und-Boden Befürchtungen abwehrt (was ich ja selbst sogar als mögliche Gefahr benannt hatte), die 'Natur' als Quelle von Moral eliminiert und dann noch die Evolutionstheorie bemüht als Zeugen gegen einen möglichen 'Sinn im Ganzen', dann kann ich diese Argumente -- genau wie bei Böckenförde -- letztlich nur als Versuch einer 'Immunisierung' verstehen. Die bekannten handlichen Begriffe von Mensch, Menschenwürde, Natur, konkreter ärztlicher Praxis werden einfach verteidigt, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass alle benutzten Begriffe schon lange nicht mehr nur das bedeuten, für das man sie gerne nimmt. Allein der Naturbegriff hat in den letzten 2500 Jahren derartige Bedeutungswandel erlebt (ähnlich auch der Begriff der Moral), dass eine Aussage wie 'die Natur lehrt uns keine Moral' mindestens bedeutungslos ist, je nach Interpretationskontext sogar einfach falsch.

In einer pessimistischen Sicht der Erkenntnisgeschichte in Europa seit der griechischen Philosophie könnte man verleitet sein zu sagen, dass eine schrittweise 'Entzauberung' des Menschen stattgefunden hat. Nach den Umbrüchen des physikalischen, und biologischen Weltbildes haben die moderne Genetik und die Gehirnforschung das 'Wunder des Menschen' in einen molekularen Mechanismus zerlegt, der nur mehr wenig Stoff für 'Träume' zu bieten scheint und demgegenüber versuchen sich die restlichen 'Romantiker' des Menschen hinter dem Bollwerk der 'Menschenwürde' zu verschanzen. Diese Strategie ist vermutlich wenig erfolgversprechend, wenn nicht gar kontraproduktiv. Tatsache ist, dass jede 'Zerlegung' immer auch neue 'Synthesen' ermöglicht, neue spannende Sichten auf ein Ganzes, dass vor dieser Zerlegung nicht sichtbar war. Dies würde aber voraussetzen, dass man angstbewehrte Vorurteile überwindet und sich interessiert diesen neuen Erkenntnisdimensionen zuwendet.

Mein Eindruck ist, dass wir bislang eher den Kardinälen ähneln, die Galilei das Fernrohr verbieten wollen, weil es die gewohnte Unordnung gefährdet....

Schöneck, 2.April 2011

Böckenförde und PID - FAZ 14.Maerz 2011

MENSCHENWÜRDE ALS HERAUSFORDERUNG

Zu dem Artikel "Warum nicht PID?' von Ernst-Wolfgang Böckenförder, FAZ 14.März 2011, Nr.61, Feuilleton, S.27


Obwohl ich selbst kein 'Ethikspezialist' bin habe ich den Beitrag des Bundesrichters a.D. Böckenförde mit Interesse gelesen. Der Beitrag ist sehr klar geschrieben, geradezu brilliant. Im ersten Moment erscheint seine Argumentation gegen die Präimplantationsdiagnostik (PID) unwidersprechlich. Die Menschenwürde, auf die er sich im Kern für seine Argumentation beruft, erscheint als die zentralste Position, die uns zur Verfügung steht, um unsere Existenz als Menschen im gesellschaftlichen Dasein in grundlegenden Belangen zu rechtfertigen. Und diese Menschenwürde heftet sich an die befruchtete Zelle, aus der heraus sich der Mensch schrittweise entwickelt. Dieser Prozeß ist nach Böckenförde als eine Einheit zu sehen, die nicht willkürlich in 'lebenswerte' und 'nicht lebenswerte' Phasen aufgeteilt werden kann. Wohl aber -- und das ist auffällig -- räumt er ein, dass es zwischen dem Lebensrecht einer Mutter und dem Lebensrecht eines heranwachsenden Kindes (noch im Mutterleib) einen Konflikt geben kann, der im Grenzfall zuungunsten des Kindes im Mutterleib ausfallen kann, d.h. das Kind im Mutterleib darf getötet werden.

An dieser Stelle wären viele Fragen zu stellen -- und die bisherige Diskussion zu diesen Themen ist ja auch mehr als umfangreich -- ich möchte aber nur auf einen Punkt abheben: Menschenwürde.

In den letzten ca. 150 Jahren haben wir in den Naturwissenschaften eine Menge dazugelernt, was das 'Wesen' des biologischen Lebens auf unserer Erde betrifft. So haben wir gelernt, dass die Betrachtung des einzelnen Individuums ohne Einbeziehung der Leben ermöglichenden Population praktisch sinnlos ist. Aber selbst die Population der Menschen für sich genommen ist auch weder verstehbar noch lebensfähig ohne die Vielfalt aller Arten, die zusammengenommen ein komplexes System ergeben, in dem die einzelnen Arten quasi 'voneinander' leben. Ohne die Vielfal der verschiedenen Bakterien, Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere, die kontinuierlich unsere Lebensbasis herstellen, würden wir als Menschen sofort von der Bildfläche verschwinden. Dazu kommt, dass sich die genetischen Grundlagen des Lebens im Laufe von mehr als 3 Milliarden Jahren kontinuierlich verändert haben. Irgendeine der vielen genetischen Strukturen aus dieser Geschichte heraus zugreifen und als 'die' genetische Struktur zu erklären, 'die' das 'Leben schlechthin' repräsentiere, wäre vor diesem Hintergrund unsinnig, geradezu absurd. Wir heutigen Menschen sind genuiner Teil dieser Prozesse, sind daraus hervorgegangen. Zu unterschiedlichen Zeiten waren unsere genetischen Strukturen anders als heute. Und -- und das ist ein entscheidender Punkt! -- dieser Prozeß der 'Lebenswerdung' auf dieser Erde ist ja keinesfalls zu Ende. Unsere Gegenwart heute ist genauso ein 'Durchgangspunkt' wie es die vielen Zeitpunkte vor unserer Gegenwart waren. Sich hinzustellen und zu sagen, dass der aktuelle Zustand des Menschen ein 'absoluter' Zustand sei, 'unveränderlich', 'unantastbar', wird dem tatsächlichen Geschehen nicht gerecht. Wie alle unsere 'Vorläufer' sind auch wir 'in Phase', 'in Entwicklung'.

Wenn es einen 'ethisch relevanten Referenzpunkt' gibt, dann den, dass es einen übergreifenden Lebensprozeß gibt, der sich seit über 3 Milliarden Jahren auf dieser Erde behauptet hat, innerhalb dessen wir Menschen, als genuiner Teil dieses Prozesses, die Fähigkeit erlangt haben, den Prozeß der genetischen Entwicklung durch die ca. 100.000 Jahren verfügbare Intelligenz und die seit ca. 6.000 Jahren verfügbaren Sprachen und die seit 10 Jahren verfügbare -- allerdings noch recht primitiven -- Technologie der Gentechnik gezielt zu beschleunigen. Wenn man dann weiter weiß, dass das uns bekannte Leben auf seinem mühsamen Weg durch die Jahrmilliarden viele Arten 'verloren' hat (manche Schätzungen sprechen zu bestimmten Zeiten von 70 - 90% aller Arten), da deren genetische Struktur mit der sich stark wandelnden Umgebung nicht Schritt halten konnte, dann kann der Verbot von genetischen Änderungen wie Hohn klingen: wir selbst existieren nur weil ungeheuerlich viele Arten auf dem Weg in die Zukunft sterben mußten, und wir verbieten den Umgang mit genetischen Änderungen weil einzelne Zellen eliminiert werden, der Struckturen nachweisbar zu Krankheiten und Beeinträchtigungen bei einzelnen führen.

Gewiss, der Mißbrauch von Genetik als fehlgeleitete Eugenik steht als Gefahr im Raum. Aber dann sollten wir ehrlicherweise auch sagen, daß wir jeden Tag weltweit erleben, daß in vielen Ländern dieser Erde permanent Menschen Macht missbrauchen und vielen hundert Millionen Menschen deren Würde nehmen, sie quälen und töten, sie missbrauchen, foltern usw. Der Mißbrauch der Freiheit ist eine Realität. Aber der mögliche und tatsächliche Mißbrauch von Freiheit darf uns nicht daran hindern, die übergreifende Bestimmung des Menschen als Teil eines planetarischen Lebensauftrages zu übersehen. Und dieser Lebensauftrag sagt ganz klar, dass wir noch keinesfalls am 'Ziel' sind, sondern dass wir 'unterwegs' sind und dass es in unserer aller Verantwortung liegt, die Chancen des Lebens für die Zukunft deutlich zu erhöhen; aktuell sind wir keinesfalls zukunftsfähig. Und da niemand von uns in vollem Umfang die kommenden Aufgaben vollständig kennt und auch nicht kennen kann, ist auch klar, dass es ohne Risiken nicht gehen kann.

Vor diesem Hintergrund erscheint mir der Versuch, Risiken unter Berufung auf eine falsch verstandene Menschenwürde auszublenden, als das möglicherweise größere Risiko. Damit blenden wir unsere Verantwortung für ein zukunftsfähiges Leben systematisch aus. Die Brillianz der Argumentation von Böckenförde dient dann der Immunisierung der Diskussion, dient der Festschreibung eines Status quo, der per se gar kein Status quo ist.

Möglicherweise werden jetzt viele sagen, ja und, was sollen wir denn dann tun? Sicher ist eines: Die notwendigen Antworten wird man nicht im 'Schaukelstuhl der politischen Korrektheit' finden; ganz sicher nicht.

Schöneck, 14.März 2011

2011/01/17

Ensemble Moderne - 30 Jahre Jubiläumskonzert (15.Jan 2011)

Am 15.Jan 2011 hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, ein Konzert des Frankfurter Ensemble Modern zu hören, dann gleich ein Jubiläumskonzert mit 6 Uraufführungen in der Kategorie Moderne Musik. Der Mozartsaal in der Alten Oper Frankfurt bietet den großen Vorteil, dass man alle mitwirkenden Musiker sehr gut sehen kann. Bei dieser Art von Musik ein großer Vorteil, da das, was man hört meist so ungewöhnlich ist, dass eine optische Verbindung zum Klangerzeuger helfen kann, das Gehörte einer bestimmten Quelle zuzuordnen. Bei den sechs Stücken wirkten zwischen 12 bis 25 Musiker mit, bei einem Stück allerdings nur ein Fagottspieler, der im Dialog mit einem elektronisch über Lautsprecher hörbaren Sound spielte.

Die Komplexität solch neuer Musik ist enorm: ein Komponist muß zwischen 12 und 25 verschiedenen Stimmen parallel koordinieren; dazu muß er nicht nur die Klangbesonderheiten jedes Instrumentes kennen, sondern auch wissen, wie er die gewünschten Klänge in seinem Kopf so notiert, dass ein Musiker aufgrund dieser Notation verstehen kann, was er spielen soll. Da die Komponisten dieser Stücke beständig von gewohnten Spielweisen abweichen, um den Instrumenten neue, überraschende Klänge zu entlocken, stellt dies für beide -- Komponisten wie Musiker -- eine große Herausforderung dar. Im Orchester waren alle Instrumente genau einmal besetzt, dazu spielten viele Musiker oft zwei, manche sogar mehr als zwei verschiedene Instrumente (z.B. Klarinette und Saxophon) im gleichen Stück.

Der Hörer bekommt von dieser Erzeugungskomplexität streng genommen nichts mit. Auf ihn stürmen die Schallwellen ein, so wie sie sich im Raum zu einem Gesamteindruck am Ohr vereinen. Was immer sich ein Komponist gedacht haben mag, wie immer ein gedachter Klang realisiert wurde, wie immer dieser Klang -- mit und ohne zusätzliche Klangtechnik -- in einem Raum zu einem Klangereignis an einem bestimmten Punkt im Raum an den Ohren eines Hörers vereinigt, der Hörer hat sein spezifisches Klangerlebnis. Als Hörer kann ich nur hoch und tief unterscheiden, unterschiedliche Klangfarben, laut und leise, Ähnlichkeiten zwischen Klängen, Wiederholungen, bestimmte Strukturen in der Zeit (Rhythmik, Melodie, 'Bewegungen'...).

In dieser diffusen Hörsituation wirkten die verschiedenen Stücke auf mich sehr unterschiedlich. Die ersten beiden Stücke (1. Schöllhorn, 2. Srnka) fielen auf durch Dynamik und Strukturierungen, auch durch Klänge, die bekannte Muster der modernen Musik nicht einfach klischeehaft wiederholten. Das 3.Stück von Fenessy (vor der Pause) beeindruckte mich noch mehr: Nachdem das Orchester zu spielen begonnen hatte, zunehmend auch ergänzt um Klänge aus Lautsprechern, verliesen die Musiker nach und nach das Podium, während die Musik weiter spielte. Dies taten andere Musiker hinter dem Podium, die man z.T. durch Durchlässe in der Rückwand im Halbdunkel sehen konnte. Das 'Entschwinden' der Erzeuger bei anhaltender Erzeugung erzeugte einen ganz eigenartigen Effekt, keine 'optische', sondern eine 'akustische Täuschung' besonderer Art. Zudem empfand ich die Klangkomposition als solche interessant: die Klänge über die Lautsprecher ähnelten sehr stark bloßem Rauschen, allerdings nicht ganz. Es bildete eine 'Klangwolke', in die sich die von den Musikern erzeugten Klänge 'einschmiegten'.

Auch das erste Stück nach der Pause (4. Nicolaou), ein Fagott solo im Wechselspiel mit Klängen über Lautsprecher wirkte auf mich besonders. Nicht erkennbar war, ob diese Klänge aufgezeichnet waren und der Fagott-Spieler im Dialog damit spielte oder ob diese Klänge durch Elektronik und Software anhand des Live-Spiels erst erzeugt wurden. Letzteres schien mir der Fall zu sein. Dann spielte der Fagott-Spieler gewissermaßen mit den klanglichen Nachwirkungen seines eigenen Spiels...

Das Fünfte Stück von Rihm zeugte von großem handwerklichem Können, wirkte auf mich aber sehr stereotyp und einfallslos (vielleicht tue ich ihm unrecht). Das letzte und sechste Stück von Cheung war dagegen wieder ein fast sinfonisches Werk, mit allerlei Bewegungen, Überraschungen und Wendungen.

Alles in allem ein sehr anregender Abend in Sachen neuer Musik. Anzumerken wäre allerdings, dass sich die Instrumente bis auf zwei Ausnahmen (ein iPhone als Klangmanipulator und ein elektronisches Keyboard) aus den klassischen Konzertinstrumenten rekrutierten. Auch die Klangmuster lassen sich -- bei aller 'Neuheit' -- klaren 'Teilräumen' der Klangwelt zuordnen, die kaum bis garkeine Berührung zu all jenen Klangstrukturen aufwiesen, die den Bereich des Blues - Rock - Pop - Disco markieren. Dies ist nicht ganz verzeihlich, da dies die wichtigsten Klangräume der letzten 50 Jahre sind und diese einfach auszuklammern (zu 'verdrängen'?) ist schwer zu vermitteln. Man kann nur vermuten, dass hier die musikalischen Werdegänge der beteiligten Personen ihre Prägestempel hinterlassen haben, die eine Fixierung auf bestimmte Teilräume des Klanguniversums begünstigen.

In der FAZ vom 17.Januar 2011 (Nr.13, S.17, Feuillton) widmet Gerhard Rohde diesem Konzert des Ensemble Modern einen ausgesprochen positiven Artikel. Wenn er dann im einzelnen die Kompositionen in klassischer Manier charakterisiert, spricht er aus der Position des 'Wissenden'. Im Fall des ersten Stücks (Schöllhorn, 'Dias koloriert') weiss er um die theoretische Absicht des Komponisten, hat er ein theoretisches Wissen um Bachs 'Kunst der Fuge', weiss er von 'drei kontrastrierende Kontrapunkte', die Schöllhorn in seinem Stück verarbeiten will, und er unterstellt, dass dies auch gelungen ist. Aus der Sicht des 'reinen Hörens' sind diese Sachverhalte -- wenn man nicht gerade ein Bachspezialist ist mit absolutem Gehör und übermenschlichem Hörgedächtnis -- nicht verifizierbar. Für das 'normale Hören' erlaubt die Komplexität des Klangereignisses gepaart mit einer z.T. hohen Ablaufgeschwindigkeit keinerlei sehr differenzierte Strukturwahrnehmungen. 12 bis 25 gleichzeitige und voneinander verschiedene einzelne Klangereignisse in Geschwindigkeiten von ca. eins bis zwei Ereignissen pro Sekunde -- oder mehr -- können vom menschlichen Wahrnehmungsvermögen unter Einbeziehung des Gedächtnisses aus wissenschaftlicher Sicht nicht detailgetreu verarbeitet werden. Ein sehr erfahrener Dirigent mag gewisse Strukturen erkennen können, aber auf keinen Fall alle Details. Dies trifft auch auf die anderen Charakterisierungen von Rohde zu, die allesamt auch dem begleitenden Programmheft entnommen werden könnten.

Ich möchte mit dieser Überlegungen den Wert des Beitrags von Rohde nicht mindern, hilft er doch, das Klanggeschehen in einen gewissen historischen Musikkonkext einzuordnen. Für das, was man tatsächlich hört, hilft es aber u.U. wenig. Es erinnert ein wenig an das Märchen von 'Des Kaisers neue Kleider' von C.Andersen. Über das 'Wort' wird eine Wirklichkeit erzeugt, die aber nicht der entspricht, die man physikalisch messen und psychologisch wahrnehmen kann. Die 'Musik des Wissens' ist nicht die 'Musik des Hörens', und letztlich zählt das, was man tatsächlich hört (wenngleich natürlich das 'tatsächliche Hören' nicht loslösbar ist von dem jeweiligen Wissen, das 'mithört'). So ist den gehörten Kompositionen -- und auch dem Autor Rohde? -- gemeinsam, dass Sie tief geprägt sind von der 'klassichen' Musik einschliesslich der 'klassischen modernen Musik'. Die großen Ströme der gelebten Musik (Blues, Rock, Pop, Disco,...) sind aseptisch ausgegrenzt. Man ist versucht, die 'Integrationsdebatte' auch hier, im Falle einer sich musikalisch abkapselnden neuen Musik, zu eröffnen.