2011/01/17

Ensemble Moderne - 30 Jahre Jubiläumskonzert (15.Jan 2011)

Am 15.Jan 2011 hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, ein Konzert des Frankfurter Ensemble Modern zu hören, dann gleich ein Jubiläumskonzert mit 6 Uraufführungen in der Kategorie Moderne Musik. Der Mozartsaal in der Alten Oper Frankfurt bietet den großen Vorteil, dass man alle mitwirkenden Musiker sehr gut sehen kann. Bei dieser Art von Musik ein großer Vorteil, da das, was man hört meist so ungewöhnlich ist, dass eine optische Verbindung zum Klangerzeuger helfen kann, das Gehörte einer bestimmten Quelle zuzuordnen. Bei den sechs Stücken wirkten zwischen 12 bis 25 Musiker mit, bei einem Stück allerdings nur ein Fagottspieler, der im Dialog mit einem elektronisch über Lautsprecher hörbaren Sound spielte.

Die Komplexität solch neuer Musik ist enorm: ein Komponist muß zwischen 12 und 25 verschiedenen Stimmen parallel koordinieren; dazu muß er nicht nur die Klangbesonderheiten jedes Instrumentes kennen, sondern auch wissen, wie er die gewünschten Klänge in seinem Kopf so notiert, dass ein Musiker aufgrund dieser Notation verstehen kann, was er spielen soll. Da die Komponisten dieser Stücke beständig von gewohnten Spielweisen abweichen, um den Instrumenten neue, überraschende Klänge zu entlocken, stellt dies für beide -- Komponisten wie Musiker -- eine große Herausforderung dar. Im Orchester waren alle Instrumente genau einmal besetzt, dazu spielten viele Musiker oft zwei, manche sogar mehr als zwei verschiedene Instrumente (z.B. Klarinette und Saxophon) im gleichen Stück.

Der Hörer bekommt von dieser Erzeugungskomplexität streng genommen nichts mit. Auf ihn stürmen die Schallwellen ein, so wie sie sich im Raum zu einem Gesamteindruck am Ohr vereinen. Was immer sich ein Komponist gedacht haben mag, wie immer ein gedachter Klang realisiert wurde, wie immer dieser Klang -- mit und ohne zusätzliche Klangtechnik -- in einem Raum zu einem Klangereignis an einem bestimmten Punkt im Raum an den Ohren eines Hörers vereinigt, der Hörer hat sein spezifisches Klangerlebnis. Als Hörer kann ich nur hoch und tief unterscheiden, unterschiedliche Klangfarben, laut und leise, Ähnlichkeiten zwischen Klängen, Wiederholungen, bestimmte Strukturen in der Zeit (Rhythmik, Melodie, 'Bewegungen'...).

In dieser diffusen Hörsituation wirkten die verschiedenen Stücke auf mich sehr unterschiedlich. Die ersten beiden Stücke (1. Schöllhorn, 2. Srnka) fielen auf durch Dynamik und Strukturierungen, auch durch Klänge, die bekannte Muster der modernen Musik nicht einfach klischeehaft wiederholten. Das 3.Stück von Fenessy (vor der Pause) beeindruckte mich noch mehr: Nachdem das Orchester zu spielen begonnen hatte, zunehmend auch ergänzt um Klänge aus Lautsprechern, verliesen die Musiker nach und nach das Podium, während die Musik weiter spielte. Dies taten andere Musiker hinter dem Podium, die man z.T. durch Durchlässe in der Rückwand im Halbdunkel sehen konnte. Das 'Entschwinden' der Erzeuger bei anhaltender Erzeugung erzeugte einen ganz eigenartigen Effekt, keine 'optische', sondern eine 'akustische Täuschung' besonderer Art. Zudem empfand ich die Klangkomposition als solche interessant: die Klänge über die Lautsprecher ähnelten sehr stark bloßem Rauschen, allerdings nicht ganz. Es bildete eine 'Klangwolke', in die sich die von den Musikern erzeugten Klänge 'einschmiegten'.

Auch das erste Stück nach der Pause (4. Nicolaou), ein Fagott solo im Wechselspiel mit Klängen über Lautsprecher wirkte auf mich besonders. Nicht erkennbar war, ob diese Klänge aufgezeichnet waren und der Fagott-Spieler im Dialog damit spielte oder ob diese Klänge durch Elektronik und Software anhand des Live-Spiels erst erzeugt wurden. Letzteres schien mir der Fall zu sein. Dann spielte der Fagott-Spieler gewissermaßen mit den klanglichen Nachwirkungen seines eigenen Spiels...

Das Fünfte Stück von Rihm zeugte von großem handwerklichem Können, wirkte auf mich aber sehr stereotyp und einfallslos (vielleicht tue ich ihm unrecht). Das letzte und sechste Stück von Cheung war dagegen wieder ein fast sinfonisches Werk, mit allerlei Bewegungen, Überraschungen und Wendungen.

Alles in allem ein sehr anregender Abend in Sachen neuer Musik. Anzumerken wäre allerdings, dass sich die Instrumente bis auf zwei Ausnahmen (ein iPhone als Klangmanipulator und ein elektronisches Keyboard) aus den klassischen Konzertinstrumenten rekrutierten. Auch die Klangmuster lassen sich -- bei aller 'Neuheit' -- klaren 'Teilräumen' der Klangwelt zuordnen, die kaum bis garkeine Berührung zu all jenen Klangstrukturen aufwiesen, die den Bereich des Blues - Rock - Pop - Disco markieren. Dies ist nicht ganz verzeihlich, da dies die wichtigsten Klangräume der letzten 50 Jahre sind und diese einfach auszuklammern (zu 'verdrängen'?) ist schwer zu vermitteln. Man kann nur vermuten, dass hier die musikalischen Werdegänge der beteiligten Personen ihre Prägestempel hinterlassen haben, die eine Fixierung auf bestimmte Teilräume des Klanguniversums begünstigen.

In der FAZ vom 17.Januar 2011 (Nr.13, S.17, Feuillton) widmet Gerhard Rohde diesem Konzert des Ensemble Modern einen ausgesprochen positiven Artikel. Wenn er dann im einzelnen die Kompositionen in klassischer Manier charakterisiert, spricht er aus der Position des 'Wissenden'. Im Fall des ersten Stücks (Schöllhorn, 'Dias koloriert') weiss er um die theoretische Absicht des Komponisten, hat er ein theoretisches Wissen um Bachs 'Kunst der Fuge', weiss er von 'drei kontrastrierende Kontrapunkte', die Schöllhorn in seinem Stück verarbeiten will, und er unterstellt, dass dies auch gelungen ist. Aus der Sicht des 'reinen Hörens' sind diese Sachverhalte -- wenn man nicht gerade ein Bachspezialist ist mit absolutem Gehör und übermenschlichem Hörgedächtnis -- nicht verifizierbar. Für das 'normale Hören' erlaubt die Komplexität des Klangereignisses gepaart mit einer z.T. hohen Ablaufgeschwindigkeit keinerlei sehr differenzierte Strukturwahrnehmungen. 12 bis 25 gleichzeitige und voneinander verschiedene einzelne Klangereignisse in Geschwindigkeiten von ca. eins bis zwei Ereignissen pro Sekunde -- oder mehr -- können vom menschlichen Wahrnehmungsvermögen unter Einbeziehung des Gedächtnisses aus wissenschaftlicher Sicht nicht detailgetreu verarbeitet werden. Ein sehr erfahrener Dirigent mag gewisse Strukturen erkennen können, aber auf keinen Fall alle Details. Dies trifft auch auf die anderen Charakterisierungen von Rohde zu, die allesamt auch dem begleitenden Programmheft entnommen werden könnten.

Ich möchte mit dieser Überlegungen den Wert des Beitrags von Rohde nicht mindern, hilft er doch, das Klanggeschehen in einen gewissen historischen Musikkonkext einzuordnen. Für das, was man tatsächlich hört, hilft es aber u.U. wenig. Es erinnert ein wenig an das Märchen von 'Des Kaisers neue Kleider' von C.Andersen. Über das 'Wort' wird eine Wirklichkeit erzeugt, die aber nicht der entspricht, die man physikalisch messen und psychologisch wahrnehmen kann. Die 'Musik des Wissens' ist nicht die 'Musik des Hörens', und letztlich zählt das, was man tatsächlich hört (wenngleich natürlich das 'tatsächliche Hören' nicht loslösbar ist von dem jeweiligen Wissen, das 'mithört'). So ist den gehörten Kompositionen -- und auch dem Autor Rohde? -- gemeinsam, dass Sie tief geprägt sind von der 'klassichen' Musik einschliesslich der 'klassischen modernen Musik'. Die großen Ströme der gelebten Musik (Blues, Rock, Pop, Disco,...) sind aseptisch ausgegrenzt. Man ist versucht, die 'Integrationsdebatte' auch hier, im Falle einer sich musikalisch abkapselnden neuen Musik, zu eröffnen.

1 comment:

  1. Anonymous1/19/2011

    Einige Gedanken in ihrem Artikel verwundern mich etwas. Als Komponist hat man doch auch

    Neigungen und Geschmack, also warum soll man Instrumente/Klänge aus dem Bereich "Blues -

    Rock - Pop - Disco" verwenden, wenn man das gar nicht will, oder einem solche Musik gar

    nicht gefällt? Zumal es viele weitere Musikrichtungen gibt, die noch weniger mit "Blues -

    ... usw." gemein haben. Und warum kümmert sich "Blues - ... usw." denn umgekehrt nicht um

    die Herausforderungen der modernen Musik?

    Zur Wahrnehmungsfähigkeit: Da müsste man eigentlich nur eines sagen: Jeder hört anders.

    Doch ich sage etwas mehr.

    Wollte man etwa eine Statistik erstellen, wer was und wieviel hört, und sich in Zukunft

    danach kompositorisch richten? Wie arm würde doch dann die Musik.

    Viele Stücke und Momente moderner Musik sind auch gar nicht so gedacht, das man alle

    Details erfassen soll. Wenn man einen Baum betrachtet, sieht man auch nicht jedes Ästchen

    und jedes Blätterdetail. Würde man nun so viele Blätter und Äste abschneiden, alle

    Strukturen glattpolieren, sodaß wir am Ende etwas haben, das man sofort erfassen kann,

    was wäre das noch für ein Baum?

    Das wichtigste, entscheidenste haben sie ausser Acht gelassen: Das bei einer

    "Vereinfachung" (oder sonstiger Veränderung) ... sich die Musik ändert!

    Die Kritik in ihrem Artikel ist mir jedenfalls nicht nachvollziehbar, und strotzt leider

    nur von Vorurteil oder Halbgedachten. Etwa auch: "Gelebte Musik" ist also nur "Blues -

    Rock - Pop - Disco" - da würden ihnen aber viele Jugendliche sagen, das ist tote Musik,

    solche etwa, die "Hip Hop - Metal - Industrial - Experimental" hören. Und ein 20jähriger

    Komponist moderner Musik und die Musiker des Ensemble Modern - sind das alles Untote!?

    Wer hat überhaupt "Blues - Rock - Pop - Disco" zum Maß aller Dinge erklärt, wer sagt,

    dass diese Musik für alle anderen Richtungen Relevanz haben muß!?

    Ich glaube auch nicht, das die ganze moderne Musik sich verschworen hat, um sich gegen

    sie Abzukapseln - denn Aufschlussreich ist ihr Artikel nur über ihr Hören.

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